Mehr Kohleverbrauch durch Windstrom?

Das Science Skeptical Blog schreibt diese Woche, daß die in den letzten Jahren gebauten Windkraftwerke und Photovoltaikanlagen völlig nutz- und sinnlos seien und noch kein herkömmliches Kraftwerk ersetzt hätten.

Der Autor bezieht sich dabei auf die Energiedaten des BMWi, die gleiche Quelle die auch der Wattrechner gerne nutzt, und baut daraus ein sehr anschauliches Bild (das zweite im Blogartikel). Schaut man auf die Erzeugungskapazität, haben Windkraftwerke und Photovoltaikanlagen kein konventionelles Kraftwerk ersetzt, sondern haben nur zusätzliche Kapazität geschaffen. Das ist soweit nicht verwunderlich, denn wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, muß Kapazität zur Deckung der Stromnachfrage vorhanden sein.

Aber wie geht das zusammen mit Meldungen, nach denen die Erneuerbaren Energien schon 26% des deutschen Strombedarfs decken? Offensichtlich wurden die konventionellen Kraftwerke – obwohl in „Ständiger Bereitschaft“ – seltener oder nur zum Teil genutzt, wenn Wind und Sonne vorhanden waren. Erneuerbare Energie verdrängt mehr und mehr Energie aus konventioneller Erzeugung. Eine gute Nachricht, oder?

Auf den ersten Blick schon. Schaut man auf die BMWi Energiedaten, so ist ersichtlich, daß die schrumpfenden Kernenergie-Terawattstunden nicht durch zusätzliche fossil erzeugte Terawattstunden ausgeglichen werden mußten. Verglichen mit 2006 wurde bei insgesamt leicht rückläufiger Stromerzeugung im Jahr 2011 6oTWh weniger Atomstrom und 14TWh weniger Fossilstrom erzeugt. Gleichzeitig 60TWh mehr Wind-, Solar- und Biomassestrom.  Soweit, so gut.

Nicht so schnell. Denn die fossilen Kraftwerke – vor allem Kohlekraftwerke – müssen ja nun viel häufiger nachregeln, um immer dann, aber auch nur dann, Strom zu liefern wenn kein Wind oder Sonne zur Verfügung steht. Stadtverkehr sozusagen: Anfahren, bremsen, wieder anfahren – da ist es bei Kohlekraftwerken wie bei Autos: Der Wirkungsgrad im Stadtverkehr ist deutlich schlechter als bei konstanter Geschwindigkeit. Science Skeptikal geht in einem weiteren Artikel sogar soweit, zu postulieren, daß die mit Wind+Solar erzeugten TWh komplett durch Wirkungsgradverluste des fossilen Kraftwerksparks aufgefressen würden.

Nach den Hinweisen von Rudolf Kipp lassen sich Indizien dafür sogar in meiner geliebten BMWi Monstertabelle finden. Rechnen wir also nach.

  1. Im Tab 8b der Tabelle finden sich zwei Effizienzgrößen: „Wirkungsgrad“ und „Brennstoffeinsatz“. Diese laufen über die Jahre auseinander. Aus dem Brennstoffeinsatz“ leiten sich schlechtere tatsächliche Wirkungsgrade ab, als unter dem optimalen „Wirkungsgrad“ im Bestpunkt gelistet sind. Das erinnert ein wenig an den Unterschied zwischen Testverbrauch und Drittelmix-Verbrauch bei Autos. Bei unseren fossilen Kraftwerken wird der Unterschied tatsächlich größer, je mehr Wind- und Sonnenstrom produziert werden. Also setzen wir beide Größen ins Verhältnis und nennen das Ergebnis „Wirkungsgradausnutzung“.
  2. Aus den Angaben in Tab 22 kann man aus Kapazität (in GW) und Stromerzeugung (in TWh) sogenannte „Volllaststunden“ berechnen. Diese beschreiben den Anteil zwischen tatsächlicher Erzeugung und theoretischer Kapazität. Der maximale Wert entspricht der Anzahl Stunden im Jahr: 8760. Kernkraftwerke und Braunkohlekraftwerke erreichen über 7000 Stunden (d.h. sie fahren das ganze Jahr über fast immer mit maximaler Kapazität). Steinkohlekraftwerke 4000 Stunden, Gaskraftwerke 3000 Stunden  (sie werden häufiger nachgeregelt). Windstrom erreicht onshore knapp 2000 Stunden, Photovoltaik 1000 Stunden. Zum Vergleich: Ein Auto mit 100km/h „Kapazität“ und 20.000km im Jahr erreicht gerade einmal 200 Volllaststunden…

Wenn Strom aus Wind und Sonne Kohlekraftwerke zum häufigen Hoch- und Runterregeln zwingt, so sollten die Zahlen zwei Dinge zeigen: (1) Die Volllaststunden sinken und (2) die „Wirkungsgradausnutzung“ im Vergleich zum Betrieb im Bestpunkt sinkt ebenfalls. Und beides korreliert mit dem Ausbau der Solar- und Windenergie. Schauen wir auf das folgende Bild:

Wirkungsgradausnutzung

Die Wirkungsgradausnutzung (1991 auf 100% normiert) beginnt in dem Jahr deutlich zu fallen, ab dem der Zubau von Wind und Solar Fahrt aufnimmt: Das Jahr 2001. Allerdings beschleunigt sich – trotz sich abschwächenden Zubaus (damals vorwiegend Wind) – die Wirkungsgradverschlechterung erst ab 2007, dem Zeitpunkt als Steinkohlekraftwerke verdrängt werden und deren Volllaststunden sinken. Der massive Zubau der Photovoltaik ab 2010 scheint interessanterweise eher ausgleichend zu wirken.

Aber es ist unverkennbar: Fossile Kraftwerke fahren heute – anders als vor 20 Jahren – nicht mehr sehr nahe an dem Wirkungsgrad der technisch möglich wäre. Wie viel Strom hätte denn ohne zusätzlichen Brennstoffeinsatz erzeugt werden können, wenn alle fossilen Kraftwerke so nah am Bestpunkt wie 1991 betrieben worden wären? Das folgende Schaubild setzt diese „Verschenkten TWh“ mit den durch Wind+Solar erzeugten TWh ins Verhältnis:Verschenkte TWh

Nimmt man also den Worst Case an (die Wirkungsgradausnutzung bei fossilen Kraftwerken hat sich allein aufgrund von Wind+Solar verschlechtert), so ergibt sich:
Die Hälfte des von Wind+Solar erzeugten Stroms hätte man durch traditionellen, näher am Bestpunkt liegenden Betrieb des fossilen Kraftwerksparks „geschenkt“ bekommen.

Es lohnt sich sicherlich, diese Entwicklung weiter zu beobachten:

  • Wird sich die Wirkungsgradausnutzung weiter verschlechtern, je weiter Wind+Solar Steinkohle ersetzen?
  • Wird der weitere Zubau der Photovoltaik ausgleichend wirken?
  • Würden sich die immer unvermeidlichen Verluste neuer Energiespeicher dadurch ausgleichen lassen, daß die Wirkungsgradausnutzung wieder steigt? Alles schon mal dagewesen: Auch Nachtspeicheröfen waren Energiespeicher und sollten damals helfen, die Volllaststunden hochzubringen

Ich bin schon gespannt auf das Update der BMWi Energiedaten für 2012!

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5 Antworten zu Mehr Kohleverbrauch durch Windstrom?

  1. U. Langer sagt:

    Sehr geehrter Herr Kersten,

    vielleicht einige Anmerkungen zu Ihren abschließenden Fragen.

    zu 1.
    Natürlich wird sich die „Wirkungsgradausnutzung“ bei weiterem Ausbau der „Erneuerbaren“ weiter verschlechtern. Es ist sogar mit einer beschleunigten Verschlechterung zu rechnen. Der Grund liegt einfach darin, dass durch die Vorrangeinspeisung der „Erneuerbaren“ fossile Kraftwerke immer öfter nicht bei optimalem Wirkungsgrad oder gar im Standby (es wird Brennstoff verbraucht aber Null Strom produziert) laufen werden. Es gibt also eine exponentiell steigende Anzahl von Staus (um bei Ihrem Beispiel zu bleiben).

    zu 2.
    Ein weiterer Zubau der Photovoltaik wird zu einer weiteren Verschlechterung der Situation führen. Die Begründung ist die Gleiche wie bei Punkt 1. Ihre im Artikel geäußerte Vermutung, dass die Entwicklung 2011 auf einen positiven Effekt des Ausbaus der Photovoltaik schließen lässt, ist nicht stichhaltig. Die leichten Schwankungen bei der grundsätzlichen Verringerung der „Wirkungsgradausnutzung“ der fossilen Kraftwerke beruhen auf der wetterbedingt schwankenden „Wirkungsgradausnutzung“ der „Erneuerbaren“.
    Um mal bei Ihrer schönen Analogie zu bleiben. Wenn es durch die Photovoltaik zu mehr Stau im Stadtverkehr kommt, wird der Benzinverbrauch insgesamt steigen, auch wenn mal ein Stau dabei ist, wo es noch zähflüssig läuft und der negative Effekt des höheren Benzinverbrauchs nicht so auffällt.

    zu. 3.
    Diese Frage haben Sie mit Ihrer 2. Grafik schon selbst beantwortet. Wir reden hier von Strommengen im 2-3stelligem TWh-Bereich. Dafür existieren keinerlei Speichermöglichkeiten und es sind auch keine in Sicht. Spätestens im Jahr 2020 müssten solche Speichermöglichkeiten aber in Betrieb sein, um die Energiewende nicht gegen den Baum fahren zu lassen (mal vorausgesetzt, der geplante Ausbau der „Erneuerbaren“ findet statt) und einen Einfluss auf die Problematik der „Wirkungsgradausnutzung“ zu haben.

    MfG

  2. rolfk sagt:

    Sehr geehrter Herr Langer,

    vielen Dank für Ihren Kommentar!

    zu 1: Siemens erwartet in einer Werbepräsentation für das GuD Kraftwerk Irsching, daß in 2020 alle konventionellen Kraftwerke mindestens einmal am Tag Start/Stop fahren, also sozusagen im Stau stehen werden (Folie 8). Deswegen wollen sie ja auch mehr von ihren GuD Anlagen verkaufen, mit sowohl >60% Bestpunktwirkungsgrad als auch gutem „Stadtverbrauch“. Aus technischen Gründen muß die Wirkungsgradausnutzung also nicht schlechter weren – wir müssen „nur“ die Kohlekraftwerke schneller abschreiben und durch moderne GuD Anlagen ersetzen.

    zu 2: Die Tagesdiagramme auf der EEX Energiedatenplattform zeigen häufig, daß Wind und Solar zeitlich entkoppelt sind. Aber Sie haben recht – wir brauchen mehr Datenpunkte

    zu 3: Technisch kann man auch Strommengen im pro Jahr dreistelligen TWh Bereich speichern. Es fragt sich nur mit welchem Wirkungsgrad und Erntefaktor der Speicheranlagen. Jedem Haus eine Batterie in den Keller zu stellen hat vermutlich einen zu schlechten Erntefaktor – der Rohstoffverbrauch wäre einfach zu hoch. Aber Power2Gas? Pilotanlagen schaffen heute schon 70%. Das Gas dann im GuD Kraftwerk mit 60% wieder in Strom wandeln und wir hätten 40% „Speicherwirkungsgrad“ – den gleichen Wert mit dem ältere Kohlekraftwerke aus Primärenergie Strom erzeugen.

  3. Rudolf Kipp sagt:

    Sehr geehrter Herr Kersten,

    an dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank für den fruchtbaren Austausch bei uns im Blog. ich schrieb dort:

    Ich werde dazu in den nächsten Tagen etwas ausführlicher schreiben. Danke für den Hinweis.

    Das habe ich jetzt getan und bin zu einer etwas anderen Einschätzung als Sie gekommen:

    “Erneuerbare Energien” führen zu höheren CO2-Emissionen – Einige Fakten.
    (…) Die deutsche Energiepolitik ist demnach in mehrfacher Hinsicht absolut unsinnig. Die Zwangseinspeisung von Wind- und Solarstrom ins Stromnetz führt nicht nur zu einer erheblichen Verteuerung und zu einer immer schlechter werdenden Versorgungssituation. Auch das eigentliche Ziel der deutschen Energiewende, eine Reduktion der CO2 Emissionen, wird dadurch nicht erreicht.

    Es ist das genaue Gegenteil der Fall. Ohne die wetterabhängigen Zufalls-Stromerzeuger würde Deutschland weniger CO2 Emission produzieren als mit. Und man hätte hinsichtlich der Reduzierung der Emissionen sogar noch weitaus mehr erreichen können, wenn man nur einen Bruchteil des Geldes das in den Ausbau der “Erneuerbaren” geflossen ist, in eine Modernisierung des Kraftwerksparks gesteckt und alte Kraftwerke durch neue mit erheblich verbessertem Wirkungsgrad ersetzt hätte.

    • rolfk sagt:

      Sehr geehrter Herr Kipp,

      danke für Ihre weiteren detaillierten Berechnungen!

      Unsere Ergebnisse widersprechen sich nicht:
      Ich rechne als Energiebilanz, daß ca. 50% der Wind+Solar TWh auch ohne Wind+Solar mit klassischer Fahrweise gepaart mit Wirkungsgradverbesserung der Fossilkraftwerke erreicht worden wäre.
      Sie rechnen die spezifische CO2-Bilanz der Energieerzeugung. Und da dort der fossile Block in TWh gerechnet konstant geblieben ist, allerdings jetzt durch mehr Regelung mit suboptimalem Wirkungsgrad, muß die spezifische CO2 Bilanz absolut ja schlechter werden.

  4. Thomas Zeidler sagt:

    Es ist bezüglich des Zubaus an Erneuerbaren auch darauf hinzuweisen, dass die CO2-Einsparungen gesamtwirtschaftlich grundsätzlich nicht gegeben ist. Die Stromerzeugung fällt nämlich fast ausschließlich unter den Zertifikatehandel. Und der Gesamtausstoß ist durch die Menge an Zertifikaten festgelegt. Wenn also CO2 eingespart würde, dann würden die freiwerdenden Zertifikate woanders verbraucht.
    Im Übrigen würde dies auch gelten, wenn sich durch die Erneuerbaren der CO2-Ausstoß erhöhen würde. Denn dann müßten ja durch die Stromproduzenten Zertifikate nachgekauft werden, die den CO2-Ausstoß an anderer Stelle verringern würden.

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